Episode 4 Des Teufels Finger I - Lügengespinst

Fortsetzung Kapitel 1

Auf Burg Montemano, Ende Juli 1557

„Einem Herrn diene ich noch in meinem Leben. Das schwor ich mir, als Ihr mich aufnahmt, auf Montemano. Befehlt es mir und ich folge als Söldner den Franzosen. Befehlt Ihr es mir nicht, dann bitte ich Euch, lasst mich Euch begleiten, junger Herr.“

Über die Worte seines Pferdeknechts restlos verblüfft, drückte Lauro ihm freundlich die Schulter. „So sei es, Korbinian. Begleite mich. Doch nicht im Fußvolk. Wähle dir ein Ross und trage unser Wappen.“

 

Piemont, nahe der Stadt Savigliano, Ende Juli 1557

„Ein trauriger Anlass, dass wir uns wiedersehen.“ Lauro umarmte seinen Freund Vicenzo bei seiner Ankunft im Feldlager des Marchese de Pescara. Obwohl der Stammsitz derer zu Fossano nur wenige straffe Reitstunden von Montemano entfernt lag, hatten sie sich dennoch seit Monaten nicht gesehen.

„Wie Recht du hast, Lauro.“ Vicenzo di Fossano atmete schwer. „Aber weißt du, immer wenn das Wetter klar ist, sehe ich zu euren Bergen und denke an dich.“

„Oh, wie schön“, entfuhr Lauro bewegt, unterdessen er still bei sich dachte: „Immer, wenn Mutter mir predigt, ich solle mich endlich ehelichen, denke ich an dich und deinen Verlust, mein Freund.“ Lauro schämte sich fast, dass dies für ihn allzu oft der Grund war, die Gedanken zu Vicenzo wandern zu lassen. Er kam sich egoistisch vor, in seinem Glück, in dem er auf Montemano schwelgte…

Vicenzo löste sich aus der festen Umarmung und sein Blick fiel auf den neben Lauro stehenden jungen Mann. „Jetzt sage mir nicht, das ist dein kleiner Bruder Fausto?!“

„Oh doch“, bestätigte Lauro gequält. „Er ist es, Vicenzo.“

„Mein Gott, wie er gewachsen ist, nicht mehr der Knabe, den ich bisher kannte! Bloß, was macht er hier? Er ist ein Jüngling und gehört nicht auf ein Schlachtfeld!“

„Ich weiß“, kam es noch mehr schmerzverzerrt. „Aber halte es zurück, das junge, ungestüme Fohlen! Mitgeschlichen hat er sich, ohne mein Wissen, verkleidet unter einem Helm. Den Hintern möcht ich ihm versohlen! Doch jetzt“, sein Blick fiel schwer auf seinen zu Boden starrenden Bruder, „ihn in diesen Wirren allein nach Montemano zurückzuschicken, wäre viel zu gefährlich.“

Der Freund nickte. „Auf keinen Fall! Er wäre rekrutiert, noch ehe er Venasca erreicht hätte, ohne Schutz. Und wir stehen in unserer Pflicht dem Marchese gegenüber.“ Herzlich, aber mit Sorge im Gesicht, zog Vicenzo Fausto fest in seine Arme. „Komm her, du Lauser! Lass dich drücken. Was machst du deinem Bruder für Kummer? Deinen Eltern erst! Vergehen werden sie, bis sie dich wieder an ihr Herz reißen können!“

Auch Fausto war nicht mehr nach Euphorie zumute, wie bei seinem heimlichen Aufbruch von der Burg: Was hatte er getan?! Er bereute. Immerhin noch beeindruckt von der stolzen Reiterschar, zu der sie gehörten, erschien ihm das Heer aus fünftausend Fußknechten dagegen ungeheuerlich…

„Lass ihn uns in unsere Mitte nehmen, bitte, Vicenzo. Hüten wir ihn wie unseren eigenen Augapfel. Heilige Mutter Gottes, was habe ich Angst um ihn! Wie quälend die Gedanken an die Eltern! Auch sie wissen nicht, wo er ist! Wie soll ich ihnen je wieder gegenübertreten, wenn ich ihn nicht unbeschadet nach Hause zurückbringe??“

„Du bleibst zwischen uns, Bengel! Und wage nicht, zu kämpfen! Nur dein Leben hast du zu erhalten! Es ist die Pflicht deiner Familie gegenüber! Stürze sie nicht in Trauer!“ Zutiefst ermahnend war Vicenzos Blick, den er dem jungen Mann zuschickte, der sich an seine Brust drückte.

Fausto sah zu ihm auf. „Ja. Es tut mir leid“, flüsterte er.

In diesem Moment begannen die Fanfaren zu blasen, die Trommeln zu dröhnen und erste Befehle der Kommandanten schallten durch das Feldlager: Es galt, sich zu sammeln, zum Aufmarsch in den bevorstehenden Kampf. –

Stolz wäre es gewesen, das Gefühl, das sich in Lauro ausgebreitet hätte, als man sich hinter dem Marchese de Pescara zu mehreren Tausend in straffer Formation bewegte, um sich endlich gegen den dreisten Feind aufzulehnen. Jedoch, ein einziger Blick zur Seite genügte, um dass sich seine Brust verengte und keinen Raum ließ für heroische Gedanken: Fausto. In seiner abgrundtiefen Besorgnis Halt suchend, wandten sich seine Augen unaufhörlich nach rechts gegen die Kette der Cottischen Alpen, die sie gen Süden begleitete: Zum Greifen nahe lagen die geliebten heimatlichen Berge. Nur wenige Meilen entfernt und doch vorerst unerreichbar in der Ungewissheit, ob sie gemeinsam heimkehren könnten. Oder nur einer von ihnen. Oder sie beide nicht.

Das Kommando zum Halt riss Lauro aus seinen Grübeleien. Vor ihnen war das belagerte Cuneo aufgetaucht und ihm hallten erste Schlachtrufe in den Ohren…

 

Piemont, Vor den Toren der Stadt Cuneo, Ende Juli 1557

Eine letzte Fanfare ertönte zum Rückzug. Restlos erschöpft, schmutzig und zerrissen, blutbesudelt aber heil und siegreich machten sie sich auf den Heimweg.

In der Schlacht eines Pferdes verlustig gegangen, ritten die beiden Brüder zu zweit auf Lauros Stute im lockeren Gefolge de Pescara‘s nordwärts.

Fausto, der hinter dem Sattel auf der Kruppe von Luisa saß, schlang seine Arme zutiefst erleichtert um Lauro: Cuneo war befreit und er war dabei gewesen. Stolz stieg in ihm auf. Dennoch, an der Seite seines Bruders und dessen Freundes unbeschadet geblieben, wollte er nur noch zurück nach Montemano.

Mit dem Erreichen der Ebene vor Savigliano begann Fausto zu überlegen, wie er die Eltern um Verzeihung bitten könnte.

„Jetzt“, drehte sich Lauro zu ihm um, „aber nichts wie nach Hause, Fausto. Vater und Mutter endlich die Ungewissheit und Sorge um dich Ausreißer nehmen.“ Noch während er als Antwort spürte, wie der kleine Bruder sich fester an ihn drückte, hörten sie Schreie:

„Flieht, schnell! Flieht, flieht! Sie verfolgen uns!!“

Ungläubig lenkte Lauro seine Stute in Richtung der Schreie und tatsächlich: Staubwolken, begleitet von Hufschlägen und Kampfgebrüll, wälzten sich in ihre Richtung. – Die verbliebenen französischen Truppen, nochmals aufgepeitscht von Marschall de Brissac, fielen ihnen wahrhaftig in den Rücken.

 

Wieder trieben sie ihre Pferde in wildem Galopp gegen den Feind. Wieder krachten die Schwerter aufeinander. Entsetzens- und Todesschreie folgten, auf beiden Seiten der Kämpfenden… Lauro biss die Zähne zusammen und schaltete jegliche Emotionen aus. Ein ums andere Mal hieb er auf die sich gegen ihn stürzenden französischen Reiter ein. In keiner Sekunde achtete er darauf, ob er seinen Angreifer schwer verletzte oder in den Tod schickte. So oft es ging, wandte er sich dabei zu Fausto um, in der bangen Hoffnung, dieser könne sich hinter ihm auf dem Pferd halten. In Angst um den kleinen Bruder das eigene Leben einzig um dessentwillen verteidigend, kämpfte er blindlings. Und trotzdem geschah es: Seine Stute stolperte über einen Kadaver und Fausto fiel vom Pferd. Lauro meinte, die Zeit bliebe stehen. „Fausto!!!“, schrie er und riss die Zügel herum. Er wollte ihn am Arm wieder zu sich ziehen, doch der Feind war schneller:

Ein französischer Reiter hatte sich mit einem Sprung zwischen sie gedrängt und er stach mit seinem Schwert nach unten, nach Fausto.

Der versuchte noch, sich zu ducken. Vergeblich. Klatschend bohrte sich die Klinge in seine Brust.

Die Augen zum Zerbersten aufgerissen, in Sekundenbruchteilen durch den Schrei, den die Todesangst aus seiner Kehle jagte, erwachsen, und mit einem letzten Blick zu seinem großen Bruder fiel er.

„Fausto…“ Noch einmal gellte Lauros Schrei zum Himmel. Verzweifelt. Geschockt. Schmerzverzerrt. Vom eigenen rasenden Schmerz, der ihn zeitgleich durchfuhr. Auch er fühlte, seine Stute unter ihm zusammenbrechend, wie er zu Boden ging. Sein schwindender Blick suchte den kleinen Bruder – umsonst. Im Reigen der Fallenden und Sterbenden konnte er ihn nicht mehr entdecken.

Die Welt um ihn versank in Dunkelheit und er verlor das Bewusstsein.

 

Ende Episode 4 Musik: https://www.epidemicsound.com/track/2DZ5qb4pRy/    ES_Credo-Edward Karl Hanson